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Bundesarbeitsgericht: Arbeitgeber sind zur Arbeitszeiterfassung verpflichtet

7. Okt. 2022
5 MIN

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„Stechuhr? Arbeitszeiterfassungs-App? Brauchen wir nicht …“ - gerade in kleineren Unternehmen gilt oft Vertrauensarbeitszeit. Das steht laut Bundesarbeitsgericht jedoch nicht im Einklang mit dem Arbeitsrecht.

Bundesarbeitsgericht: Alle Arbeitgeber müssen für die Erfassung von Arbeitszeiten sorgen

Fast schon beiläufig hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) vor kurzem eine Einschätzung der Rechtslage veröffentlicht, die in vielen deutschen Unternehmen Handlungsbedarf auslöst: Der Arbeitgeber ist „gesetzlich verpflichtet, die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer zu erfassen“ (Aktenzeichen: BAG, 13.09.2022 - 1 ABR 22/21).

Ausnahmen ergeben sich aus der Entscheidung nicht: Wer in Deutschland Arbeitskräfte beschäftigt, muss ein System zur Arbeitszeiterfassung einführen. Diese Verpflichtung gilt auch für Betriebe, in denen zum Beispiel nur 520-Euro-Kräfte oder kurzfristige Aushilfen beschäftigt werden, und auch für Beschäftigte, die im Homeoffice oder im Außendienst arbeiten.

Hintergrund: Europäische Vorgaben zum Arbeitsschutz

Mit seiner Entscheidung wendet das BAG eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs von 2019 an, das sogenannte Stechuhr-Urteil. Das Urteil verlangte von den EU-Mitgliedstaaten, die Arbeitgeber dazu zu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem jeden Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann.“ (EuGH, 14.05.2019 - C 55/18). Diese Vorgabe wurde vom BAG nicht nur als Auftrag an den Gesetzgeber verstanden. Es wendet die Forderung direkt auf die Arbeitgeber an.

Begründet wird die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung mit dem Arbeitsschutzgesetz. Das verpflichtet Arbeitgeber, zur Gewährleistung von Arbeitsschutz-Maßnahmen für „eine geeignete Organisation zu sorgen und die erforderlichen Mittel bereitzustellen“ (§ 3 ArbSchG). Dazu zählt für den EuGH und das BAG ein System zur Arbeitszeiterfassung. Es soll verhindern, dass die gesetzlich erlaubten maximalen Arbeitszeiten überschritten und die vorgeschriebenen Pausen nicht eingehalten werden.

Was müssen Arbeitgeber jetzt tun?

Arbeitgeber müssen erstens für ein System sorgen, mit dem die Arbeitszeiten erfasst werden können. Zweitens sollten sie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anweisen, davon auch wirklich Gebrauch zu machen.

  • Dafür, wie die Systeme zur Arbeitszeiterfassung aussehen sollen, gibt es bislang nur die oben zitierte Vorgabe des EuGH: „objektiv“, „verlässlich“ und „zugänglich“ soll es sein. Dies erfüllt bereits eine Papierliste, auf der die Mitarbeiterinnen an jedem Tag Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit und ihrer Pausen eintragen. Eine Option ist auch die klassische Stechuhr beziehungsweise ihre modernen Varianten, bei denen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich zum Beispiel mit einem RFID-Chip an- und abmelden. Außerdem gibt es mittlerweile eine Vielzahl von digitalen Lösungen, die den Beschäftigten die Eingabe von Arbeitszeiten und Pausen am Smartphone oder PC ermöglichen. Manche dieser Apps und Programme erlauben es zudem, die Arbeitszeiten bestimmten Projekten zuzuordnen, für das interne Controlling oder zur Abrechnung mit dem jeweiligen Kunden.

  • Ob die Anweisung zur Nutzung der Arbeitszeiterfassung durch einen Aushang oder eine Rund-Mail erfolgt, oder ob dazu beispielsweise eine Betriebsvereinbarung sinnvoll ist, hängt ganz von der Betriebsgröße, der Art der Tätigkeiten und von der Unternehmenskultur ab. Die Rechtsprechung nimmt die Arbeitgeber jedoch ausdrücklich in die Pflicht. Deshalb sollte die Anweisung zur Erfassung der Arbeitszeiten im Fall von Konflikten später nachweisbar sein.

Kontrollpflicht statt Homeoffice und Vertrauensarbeitszeit?

Uns egal, wann und wie viel Sie arbeiten, für uns zählen nur Ihre Ergebnisse“ – ein solches Laissez-faire-Verständnis von Vertrauensarbeitszeit verstößt gegen geltendes Arbeitsrecht. Das liegt aber nicht daran, dass die Gerichte Unternehmen zu ständiger Kontrolle zwingen wollen. Entscheidend ist vielmehr, dass Arbeitgeber ihrer Fürsorgepflicht auch in Bezug auf die Einhaltung von Pausen- und Arbeitszeiten nachkommen sollen. Arbeitgeber müssen feststellen können, ob Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger arbeiten, als das Gesetz erlaubt – das ist der Kern der jetzt vom BAG bekräftigten EuGH-Rechtsprechung.

Homeoffice lässt sich damit durchaus vereinbaren. Schließlich können dank mobiler digitaler Zeiterfassungssoftware die geleisteten Zeiten auch dort minutengenau erfasst werden. Fälle, in denen die Grenzen von Freizeit und Arbeitszeit immer weiter verschwimmen, sollten dagegen der Vergangenheit angehören: etwa wenn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbst in der Freizeit, im Feierabend oder am Wochenende laufend nebenbei geschäftliche E-Mails beantworten.

Zum Schluss: Zuviel Erfassung kann auch zum Problem werden

Arbeitgeber können nicht nur durch zu wenig Erfassung gegen das Arbeitsrecht verstoßen. Umgekehrt kann auch der Arbeitnehmerdatenschutz zum Problem werden.

Das bekam eine Berliner Praxis für Radiologie zu spüren. Sie hatte eine Software zur Planung und Erfassung der Arbeitszeiten eingeführt, bei der sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter biometrisch, d. h. per Fingerabdruck anmelden mussten. Ein Arbeitnehmer, der den Fingerabdruck aus Datenschutzbedenken verweigerte und seine Arbeitszeiten weiter handschriftlich festhielt, erhielt zwei Abmahnungen. Gegen diese wehrte er sich erfolgreich: Für das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg waren sie unverhältnismäßig (LAG Berlin-Brandenburg, 04.06.2020 - 10 Sa 2130/19).

Problematisch sind nicht nur biometrische Informationen. Wenn die Arbeitszeiterfassung gleichzeitig Daten zur Arbeitsleistung erfasst und speichert oder wenn sie per GPS Bewegungsprofile der Beschäftigten erstellt, droht ebenfalls Ärger. Arbeitgeber, die zusätzlich zu den Arbeits- und Pausenzeiten Daten erfassen und auswerten wollen, sollten sich im Zweifel datenschutzrechtlichen Rat einholen.

 

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